Vergnügungsetablissement und Meierei Tivoli
Jakob Alt: Rutschbahn am Tivoli, 1832
© Wien Museum
Das als Meierei und Vergnügungsetablissement der gehobenen Wiener Gesellschaft bekannte Wiener Tivoli war ein wichtiger Rückzugsort in der Tagesroutine von Gustav Klimt. Fotografien von Moriz Nähr und eine Vielzahl an Ansichtskarten dokumentieren seine Aufenthalte.
Eine Rutschbahn und andere Vergnügungen
Im Jahr 1830 errichteten die Berliner Rutschbahn-Unternehmer, Friedrich Gericke und Ernst Wagner, das Vergnügungsetablissement Tivoli östlich des Schlossparkes Schönbrunn (Tivolistraße 79 / Ecke Hohenbergstraße 58, Wien-Meidling). Die auf diesem Areal bereits vorhandene klassizistische Landvilla beeindruckte durch ihre Aussichtsplattform, die einen imposanten Blick über Wien und das Umland bot. Sensation und Publikumsmagnet war anfangs eine viergleisige, in die weitläufige Gartenanlage integrierte Rutschbahn. Die Eröffnung des Tivoli wurde am 5. September 1830 durch das Kaiserpaar vollzogen.
Anfangs bot das Vergnügungsetablissement auch musikalische Darbietungen, Tanzabende und Hahnenkämpfe. Es erwies sich jedoch rasch als wenig rentabel. Mehrere Besitzerwechsel, etwa mit Johann Junge nur wenige Jahre nach der Eröffnung, folgten. 1844 etablierte Franz Lechner die Meierei Klein-Tivoli mit ihren Milcherzeugnissen aus Eigenproduktion. Im Jahr 1873 pachtete schließlich der Tiroler Johann Wallner das Areal. Fünfzehn Jahre später erwarb er es. Wallner führte beträchtliche bauliche Adaptionen durch. Bedeutend war vor allem die Erweiterung um einen beeindruckenden Holzpavillon südlich der vorhandenen Einkehrmöglichkeit, der ursprünglich für die »Wiener Weltausstellung« (1873) oder die »Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen« (1892) konzipiert und errichtet worden war. So erhielt das Areal, das nun knapp 5.000 Gästen Platz bot, das für Klimt als Besucher gewohnte Aussehen.
Anton Sodoma: Ansichtskarte von Anton Sodoma in Wien an Ferdinand Sodoma in Krieglach, mitunterschrieben von Wenzel Sodoma und Gustav Klimt, 15.08.1895, Markus Weissenböck
© Markus Weissenböck, Salzburg
Gustav Klimt: Ansichtskarte von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Litzlberg am Attersee, 08.07.1907, Privatbesitz
© Leopold Museum, Wien
Moriz Nähr (?): Gustav Klimt quert die Tivolibrücke, um 1914, Privatbesitz, courtesy Klimt-Foundation, Wien
© Klimt-Foundation, Wien
Moriz Nähr (?): Gustav Klimt mit der »Frühstücksgesellschaft« in Wallner's Meierei Tivoli, vermutlich um 1914, Klimt-Foundation
© Klimt-Foundation, Wien
»Besten Gruss [!] vom Tivoli.« Klimts Aufenthalte
Die Meierei spielte in Klimts Leben bereits ab 1895 eine Rolle, worauf eine Gruß vom Tivoli in Wien-Ansichtskarte von Anton Sodoma, die Klimt ebenfalls unterschrieb, schließen lässt. Klimt selbst verfasste mehr als 75 Ansichtskarten und Briefe an Emilie Flöge und Bekannte von diesem Rückzugsort. Aufnahmen seines Lieblingsfotografen und Wegbegleiters, Moriz Nähr, zeigen ihn nicht nur mit mehreren Personen bei der Zeitungslektüre im Gastgarten sitzend, sondern auch auf dem Weg dorthin, die Tivolibrücke querend.
»Klimt war Frühaufsteher und bewegungshungrig, wanderte frühmorgens […] ins Café Tivoli, dessen altwienerisches Milieu neben Schönbrunn ihm, dem modernsten Künstler, am meisten zusagte. Als illustrer Stammgast wurde er dort gehegt und gepflegt; ein opulentes Frühstück, bei dem eine große Portion Schlagobers die Hauptrolle spielte, mußte ihn für den ganzen Tag stärken.«,
erzählte Carl Moll 1943. Der Hagenbund-Maler Sigmund Walter Hampel erinnerte sich:
»Er [Klimt] wusste genau, wann auf dem Tivoli Schweine abgestochen wurden, und fehlte nie, wenn es am Abend nach solchen Schlachttagen frische Würste […] gab.«
Es ist anzunehmen, dass Klimt, ausgehend von der Wohnung in der Westbahnstraße 36 (Wien-Neubau), entweder stadtauswärts bis zur heutigen Grünbergstraße ging oder fallweise mit der neuen Stadtbahn bis zur Station Schönbrunn fuhr. Von dort bot sich die Möglichkeit dem Straßenverlauf bis zur Tivolibrücke zu folgen, oder aber über das Meidlinger Tor, vorbei am Neptunbrunnen über die Tivolibrücke zu spazieren. Die während dieser Stadtwanderungen gewonnenen Eindrücke hielt er gerne schriftlich fest:
»[…] Morgens Schönbrunn schweres Duften nach Regen und Linden, ein wenig trübseelig [!].«
Für den Jugendstilkünstler war das Tivoli ein idealer, temporärer Rückzugsort, den er zu jeder Jahreszeit gerne aufsuchte. Vom Ausblick über Wien schrieb Klimt:
»Eigentlich sollte ich mir zu[m] Frühstück Briefpapier mitnehmen – ich hätte hier heroben viel mehr Zeit und Ruhe als in der Werkstatt.«
Auch spontane Ganztagesausflüge zum Tivoli boten sich an:
»Liebe Emilie! Wir sind heute nicht bei [Otto] Wagner. […] so bin ich am Tivoli (Rasttag.).«
Klimt fand dort Geselligkeit im Kreise seiner »Kegelgesellschaft« und »Frühstücksgesellschaft«. Zu den Mitgliedern dieser Runden zählten etwa der Rechtsanwalt Dr. Friedrich Hetzer sowie dessen Familie, die Maler Max Oppenheimer und Remigius Geyling, Moriz Nähr und vermutlich auch Egon Schiele. Mitunter wurden Klimt diese Zusammenkünfte zu umfangreich und lärmend, weswegen er den Rückweg antrat. Klimt durchquerte den Schönbrunner Schlosspark, beginnend auf Höhe der Gloriette und ging vorbei an Tiergarten und Palmenhaus bis hin zum Hietzinger Tor. Ab 1911 absolvierte er von dort einen kurzen Spaziergang in sein Atelier in der Feldmühlgasse 11 (ehemals 9, Wien-Hietzing).
Der Verfall des Tivoli
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts verlor dieses Vergnügungsetablissement stetig an Bedeutung. Auf kriegsbedingte Schließungen folgten Umbauten bis hin zum Abriss des Holzpavillons. Ab 1967 wurde die Anlage permanent geschlossen. Im Jahr 1980 zerstörte ein Brand die baulichen Überreste, die 1991 schließlich abgetragen wurden. Heutzutage befindet sich auf dem Areal des ehemaligen Vergnügungsetablissements Tivoli eine Seniorenresidenz.
Literatur und Quellen
- Sandra Tretter, Peter Weinhäupl: Gustav Klimt und sein »Werkstattgarten«, in: Irmi Soravia (Hg.): Hietzing, Wien 2019, S. 135-146.
- Peter Weinhäupl: Klimts Wege von Neubau nach Hietzing – eine innerstädtische Stadt-Land-Flucht, in: Sandra Tretter, Peter Weinhäupl, Felizitas Schreier, Georg Becker (Hg.): Gustav Klimt. Atelier Feldmühlgasse 1911–1918, Wien 2014, S. 85-97.
- Andreas Berthold, Ingrid Mader: Ein historistischer Holzpavillon auf dem Tivoli in Wien-Meidling: Geschichte und Rekonstruktion, in: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie, Wien 2009, S. 176-189.
- Günther Berger, Meidlinger Kulturverein (Hg.): Das Tivoli in Meidling, Wien 1989.
- Emil Pirchan: Gustav Klimt. Ein Künstler aus Wien, Wien - Leipzig 1942, S. 74-75.
- Ansichtskarte von Anton Sodoma in Wien an Ferdinand Sodoma in Krieglach, mitunterschrieben von Wenzel Sodoma und Gustav Klimt (15.08.1895).
- Ansichtskarte von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Kammer am Attersee, 1. Karte (Morgen) (07/07/1909). RL 2732, Leopold Privatsammlung.
- Ansichtskarte von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Paris, 1. Karte (Morgen) (10.03.1909).
- Brief mit Kuvert von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Wien (undated). Autogr. 959/55-5, Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken.
- Carl Moll?: Der intime Klimt. Erzählungen des Malers Walter Hampel, in: Neues Wiener Journal, 07.04.1928, S. 8.
- Carl Moll: Meine Erinnerungen an Gustav Klimt. Aus dem Leben und Schaffen des Meisters der Sezession, in: Neues Wiener Tagblatt, 24.01.1943, S. 3.