Künstlerkolonie Hohe Warte
Haus Moser während der Bauphase vom Garten aus, in: Innendekoration, 13. Jg. (1902).
© Universitätsbibliothek Heidelberg
Haus Moll während der Erbauung 1900, in: Innendekoration, 13. Jg. (1902).
© Universitätsbibliothek Heidelberg
Villa Moser-Moll, rechts das Haus Moll, links das Haus Moser, in: Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bau- und Raumkunst, 9. Jg. (1903).
© ANNO | Österreichische Nationalbibliothek
Anfang 1900 entstand auf der Hohen Warte, einem Hügelplateau im 19. Wiener Gemeindebezirk, ein secessionistisches Großbauprojekt im Sinne des Gesamtkunstwerks. Als Architekten fungierte zunächst Joseph Maria Olbrich, dann Josef Hoffmann. Die Villen der sogenannten Künstlerkolonie wurden von den Familien Moll, Moser, Spitzer, Reininghaus und Henneberg bewohnt.
Bereits 1896 hatte Olbrich einen Plan zu einer komplett in seinem Stil ausgeführten Villenstadt am Cobenzl (Krapfenwaldl) entworfen, der jedoch nicht ausgeführt wurde. Olbrich zog nach Darmstadt, wo er sein Projekt schließlich in Form einer Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe verwirklichen konnte. Auf der Hohen Warte schaffte es Josef Hoffmann schließlich den Traum Olbrichs auch in Wien umzusetzen. Den Secessionisten um Moll, Moser und Hoffmann gelang es eine große Baufläche zu erwerben, die für die Villenkolonie geeignet war.
Besonders der Einsatz von Carl Moll dürfte ausschlaggebend für die Umsetzung des Projekts gewesen sein. 1900 bekam er die heute nicht mehr erhaltenen Entwürfe von Olbrich für die geplante Siedlung auf der Hohen Warte. Olbrich selbst hatte kein Interesse mehr aktiv an dem Projekt mitzuwirken und übergab die Ausführung an seinen Kollegen Josef Hoffmann. Insgesamt entstanden im Rahmen des Projekts der Künstlerkolonie vier Villen.
Der weiße Putz mit den blauen Fachwerkgliederungen sowie die roten Ziegeldächer sollten die Künstlerheime zu einer stilistisch stringenten Einheit verbinden. In den Innenräumen dominierte die Farbe Weiß in Verbindung mit Ornamenten in Signalfarben wie Blau, Rot, Gelb oder Grün. Quadratische Formen, klare Linien und Symmetrie waren vorherrschende Gestaltungsprinzipien. Ziel war es dabei, keine einheitlichen Reihenhäuser zu kreieren, sondern verschiedenartige Bauformen zu einem homogenen, harmonischen Gesamtbild zu verbinden. Erst mit den späteren Bauten, die nicht durch Künstler in Auftrag gegeben wurden, lockerte sich diese einheitliche Gestaltung zugunsten individueller Lösungen.
Villa Moser-Moll
Das erste Bauprojekt, das vollendet wurde, war das Doppelhaus der Künstlerfamilien Moser und Moll. Das Gebäude, situiert an der Adresse Steinfeldgasse 6/Ecke Geweygasse 13, war unterteilt in zwei Wohnparteien. Auf der linken Seite befand sich das Haus Moll und rechts, in direkter Nachbarschaft zu Friedrich Spitzer, das Haus Moser. 1901 vollendet, war das Doppelwohnhaus die erste Villa, welche die Gestaltungsprinzipien der Künstlerkolonie repräsentierte. Für Carl Moll war das Bauprojekt ein besonders wichtiges Anliegen. Immer wieder hielt er die Villa – den Innen- und Außenbereich – und die Umgebung der Hohen Warte in seinen Gemälden und Holzschnitten fest. Lange Zeit zierten Ansichten seines Hauses sogar seinen Briefkopf. Durch die Nutzung als künstlerisches Motiv verwirklichte er das Konzept des virtuosen Gesamtkunstwerks somit in einer weiteren Nuance.
Villa Moser-Moll
Villa Spitzer, Rückseite mit Garten, in: Das Interieur. Wiener Monatshefte für angewandte Kunst, 4. Jg. (1903).
© ANNO | Österreichische Nationalbibliothek
Villa Spitzer
Das benachbarte Grundstück auf Steinfeldgasse 4 gehörte Friedrich Victor Spitzer. Der Zuckerindustrielle und Amateurfotograf zählte zum Freundeskreis um Carl Moll, Gustav Klimt und Hugo Henneberg, der sich regelmäßig im Salon bei Berta Zuckerkandl traf. Als Porträtfotograf hielt er nicht nur Klimt fest, sondern fotografierte auch Ferdinand Hodler, der bei seinem Aufenthalt in Wien 1904 in dessen Villa wohnte. Die Gestaltungsprinzipien der Villa Spitzer folgten im Großen und Ganzen jenen der Villa Moser-Moll. Quadratische und rechteckige Gliederungen bestimmten das Aussehen. Selbst die Gärten der einzelnen Villen waren nach diesem Prinzip konzipiert. Die Einrichtung der Villa wurde nicht ausschließlich durch Hoffmann gestaltet. Dieser integrierte auch Möbel von Olbrich, die sich bereits in Spitzers Stadtwohnung befunden hatten. Über die Aufteilung der Räume gibt ein Grundrissplan Auskunft. Das für eine Person ausgelegte Wohnhaus verfügte neben den Wohn-, Gäste- und Personalräumen über ein eigenes Fotoatelier im ersten Stock, wo Spitzer problemlos arbeiten konnte.
Villa Spitzer
Villa Henneberg, Gartenseite links, in: Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bau- und Raumkunst, 9. Jg. (1903).
© ANNO | Österreichische Nationalbibliothek
Villa Henneberg
Das Ehepaar Hugo und Marie Henneberg besaß die Parzelle Wollergasse 8. Hier errichtete Hoffmann 1900/01 die größte der drei frühen Künstlervillen. Wie Spitzer war auch Henneberg als Amateurfotograf tätig und stellte des Öfteren auf Ausstellungen der Secession aus. Die Villa des Ehepaares Henneberg hob sich von den anderen beiden durch ihre aufwendige, weitläufige Gartengestaltung ab. Die ornamentalen Gliederungen der Fassade waren im Gegensatz zu den Villen Moser-Moll und Spitzer stark reduziert. Es war nur ein verhaltenes Fachwerksmuster an den Giebelspitzen zu sehen. Das Gebäude war durch verschachtelte, geometrische Bauteile unterteilt. Erhaltene Grundrisspläne zeigen die Disposition der Innenräume der Villa. Neben mehreren Schlafzimmern und einem ausladenden Speisezimmer im Parterre für gesellschaftliche Treffen hatte sich Henneberg am Dachboden ein fotografisches Atelier mit anschließender Dunkelkammer einrichten lassen.
Villa Henneberg
Haus Moll 2
© Bildarchiv Foto Marburg
Villa Hochstetter
© Bildarchiv Foto Marburg
Villa Ast, Blick auf den Wandelgang, in: Moderne Bauformen. Monatshefte für Architektur und Raumkunst, 12. Jg. (1913).
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Bruno Reiffenstein (?): Einblick in die Villa Ast, um 1912, in: Das Interieur. Wiener Monatshefte für angewandte Kunst, 13. Jg. (1912).
© Klimt-Foundation, Wien
Carl Reininghaus macht Platz für Ast und Moll
Der fünfte Investor des Bauprojekts Künstlerkolonie war der Mäzen der Secession Carl Reininghaus. Auch für dessen Grundstück war eine Villa von Josef Hoffmann geplant gewesen. Diese wurde jedoch aus unbekannten Gründen nie ausgeführt. Reininghaus hatte 1902 auf der »Beethoven-Ausstellung« der Secession den Beethovenfries (1901–1902, Belvedere, Wien) von Klimt angekauft, angelblich mit der Absicht ihn in ein noch nicht errichtetes Haus zu integrieren. Klimt schrieb darüber 1902 an Maria Zimmermann:
»das Haus wohin sie [Anm.: die Platten des Beethovenfrieses] kommen sollen ist noch nicht gebaut – es ist noch gar nicht angefangen [...] bis dorthin kann's den Mann längst wieder reuen – «
Eventuell könnte es sich bei diesem Haus um die geplante Villa auf der Hohen Warte gehandelt haben. Das Integrieren des Klimt-Frieses hätte mit Sicherheit gut in das Konzept eines Gesamtkunstwerks gepasst. Konkrete Hinweise gibt es hierfür jedoch nicht.
Das Leerbleiben des Reininghaus-Grundes leitet in die zweite Bauphase der Villenkolonie über. 1906/07 entstand dort ein Einfamilienhaus für Carl Moll, das »Haus Moll«, mit der Adresse Wollergasse 10. Weiters 1909 bis 1911 die Villa Ast, mit Anschrift Steinfeldgasse 2, für die Industriellen- und Künstlermäzenenfamilie Ast. Letztere wurde in späterer Folge durch Moll für seine Stieftochter Alma Mahler-Werfel erworben, die dort mit ihrem dritten Ehemann Franz Werfel ab 1932 wohnen sollte. Ihr Künstler- und Musikersalon war stets gut besucht.
In unmittelbarer Nähe zur Kolonie erbaute Josef Hoffmann 1905/06 Villen für Alexander Brauner, einen Industriellen, und Helene Hochstetter, eine angeheiratete Verwandte des Kunstmäzens Karl Wittgenstein. Die vier späteren Bauten unterschieden sich stilistisch vom einheitlichen Gesamtbild der früheren Villen. Sie zeigten vor allem Josef Hoffmanns persönliche Stilentwicklung auf. Die Innenausstattung erfolgte durch die Wiener Werkstätte unter der Leitung Hoffmanns.
Klimt und die Künstlerkolonie
Nicht nur Carl Reininghaus hatte geplant, Gemälde von Klimt in das Gesamtkonzept seiner Villa auf der Hohen Warte zu integrieren. Sowohl die Familie Henneberg als auch die Familie Ast besaßen Werke von Klimt, die Hoffmann bewusst inszenierte und in das Gefüge seiner Gesamtkunstwerke einbezog. So erhielt Klimts Werk Porträt Marie Henneberg (1901/02, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt – Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)) durch Hoffmann in der Halle der Villa Henneberg einen würdigen Rahmen. Über einem Kamin, flankiert von zwei schlanken Glasvitrinen mit asiatischem Porzellan, wirkte das Porträt beinahe wie ein Altarbild. Im Haus Ast schuf der Bauherr einen eigenen Raum für Klimts Danaё (1907/08, Privatbesitz). Das Gemälde hing im ovalen Damensalon an einer Wand aus graugrünem Cipollino, worauf Klimts Goldornamentik besonders wirksam hervortrat. Zusätzlich wurde das Werk direkt in der Türflucht positioniert, sodass es vom Esszimmer aus gut sichtbar war.
Nicht nur das einheitliche Aussehen verband die Häuser der Künstlerkolonie. Auch die enge Freundschaft ihrer Bewohner verhalf dem Villenviertel zu seinem besonderen Status. Abwechselnd folgten befreundete Künstler den Einladungen Molls, Mosers, Hennebergs oder Spitzers. Sezessionisten trafen sich hier mit ihren Unterstützern und Auftraggebern. Die Villen waren ein Ort der Zusammenkunft sowie des geistigen Austausches. Auch Klimt war in regelmäßigen Abständen zu Gast auf der Hohen Warte.
Gustav Klimt in Gesellschaft im Garten der Villa Moll auf der Hohen Warte, Mai 1905, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek
Fotografien von 1905 zeigen beispielsweise ein Treffen von Klimt, Alfred Roller, Josef Hoffmann, Gustav Mahler und anderen im Garten der Villa Moll. Nicht nur kameradschaftliche, sondern auch mehr oder weniger offizielle Arbeitstreffen der Secession und vermutlich auch der Kunstschau-Gruppe dürften in der Villa stattgefunden haben. So schrieb Klimt beispielsweise an Emilie Flöge:
»Moll, läßt mich \telegrafisch/ für heute Abend bitten zu einer Besprechung bei ihm draußen – ich muß wo[h]l oder übel kommen da ich nicht weiß – um was es sich handelt«
Die Künstlerkolonie hatte also ihren ursprünglichen Zweck, einen Ort des gemeinschaftlichen Schaffens und Wirkens für gleichgesinnte Künstler zu bieten, erfolgreich erfüllt.
Literatur und Quellen
- Wien Geschichte Wiki. Hohe Warte. www.geschichtewiki.wien.gv.at/Hohe_Warte (18.05.2020).
- belvedere. werkverzeichnisse.belvedere.at/online/text/355447/koloman-moser/biography (18.05.2020).
- Agnes Husslein-Arco, Alfred Weidinger (Hg.): Gustav Klimt – Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne, Ausst.-Kat., Oberes Belvedere (Wien) - Unteres Belvedere (Wien), 25.10.2011–04.03.2012, München 2011.
- Tobias G. Natter, Gerbert Frodl (Hg.): Klimt und die Frauen, Ausst.-Kat., Oberes Belvedere (Wien), 20.09.2000–07.01.2001, Köln 2000.
- Gerd Pichler, Joseph Maria Olbrichs nie gebaute Künstlerkolonie in Wien und Josef Hoffmanns Künstlerkolonie auf der Hohen Warte.. journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/icomoshefte/article/view/46883/40388 (18.05.2020).
- Markus Kristan: Josef Hoffmann. Villenkolonie Hohe Warte, Wien 2004.
- Amelia Sarah Levetus: Die Villa Ast in Wien von Professor Josef Hoffmann, in: Moderne Bauformen. Monatshefte für Architektur und Raumkunst, 12. Jg. (1913), S. 1-24.
- Brief mit Kuvert von Gustav Klimt in Wien an Maria Zimmermann in Villach (17.10.1902). S63/28.
- Brief mit Kuvert von Gustav Klimt in Wien an Emilie Flöge in Wien (undated). Autogr. 959/54-6, Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken.