Hagengesellschaft
Mitglieder der Hagengesellschaft vor dem Café Sperl fotografiert von Moriz Nähr, um 1895
© Klimt-Foundation, Wien
Rudolf Bacher und Ernst Stöhr: Widmung der Hagengesellschaft, 29.11.1888
© ALBERTINA, Wien
Die Hagengesellschaft wurde 1880 gegründet und gilt als Keimzelle der Wiener Secession und des Hagenbundes. Zu der Wiener Gruppe zählten Maler, Bildhauer, aber auch Musiker, Schriftsteller, Forscher und Beamte, die sich vor allem im Café Sperl und im Bierlokal Zum blauen Freihaus trafen.
Anlässlich der hundertjährigen Feier des Regierungsantritts von Kaiser Joseph II. veranstalteten Wiener Studenten am 30. November 1880 einen Fackelzug, nach dessen Ende einige Kunststudenten zum Feiern weiterzogen und spontan beschlossen, sich fortan wöchentlich zu treffen. Die Zusammenkünfte fanden anfangs jeden Samstagnachmittag in unmittelbarer Nähe der k. k. Akademie der bildenden Künste statt: Zuerst im Café Schiller, später im Café Sperl. Abends gingen sie meistens noch in das nebenan gelegene Bierlokal Zum blauen Freihaus des kunstsinnigen Wirten Joseph Haagen.
Diese lose Vereinigung aus Malern, Bildhauern, Musikern, Schriftstellern, Forschern und Beamten war kein offizieller Verein mit Beschränkungen oder Statuten. Die Namensgebung leitete sich aus dem Nachnamen des Lokalbesitzers Haagen ab, wobei das zweite A des Namens bald wegfiel. Da die Gesellschaft in den 1880ern vor allem aus jungen Malern und Bildhauern bestand, verglich Ludwig Hevesi die Gruppe mit der Pariser Bohème des Montmartre, als er im September 1905 schrieb:
»Die kleinen malerischen Privatsachen der Kameradschaft in Atelier und Kneipe sind es, die ungebundene Stegreiflaune des Pinsels und Stiftes am Kaffeehaustisch, im Hinterzimmer des Gasthauses, im ›Kabaret‹ eines Wiener Montmartre.«
Über den Zeitraum der Gründung 1880 bis in die 1940er Jahre sind insgesamt rund 90 Personen namentlich identifizierbar. Zu der Kerngruppe zählten 20–25 Mitglieder, die bekanntesten davon sind Rudolf Bacher, Adolf Boehm, Josef Engelhart, Franz Hohenberger, Eduard Kasparides, Friedrich König, Johann Viktor Krämer, Maximilian Lenz, Alfred Roller, Ernst Stöhr und Leopold Stolba. Nur wenige Mitglieder waren Fotografen, darunter war Moriz Nähr der wohl prominenteste. Auch Max Widter und Johann Victor Krämer fotografierten die Gruppe öfters in lockeren, zwanglosen Posen und in Kostümierung. Wie auf einigen Gruppenfotos festgehalten, verband die Mitglieder vor allem der gemeinsame Humor und es gab häufig Anlässe zum Feiern, wie zum Beispiel der Besuch von Kostümbällen und der legendären Gschnas- und Schützenfeste im Künstlerhaus.
Gschnasfest-Gruppe der Hagengesellschaft fotografiert von Moriz Nähr, um 1895
© Klimt-Foundation, Wien
Johann Victor Krämer: Im Café Sperl, 1888, Wien Museum
© Wien Museum
Bald traf sich die Hagengesellschaft auch wochentags zum Kartenspielen, Komponieren, Musizieren oder Zeichnen. Das gegenseitige Zeichnen avancierte zum Hauptzeitvertreib: Oft veranstalteten sie Zeichenwettbewerbe mit humoristischen Themen und der Wirt des Sperl – Adolf Kratochwilla – sammelte die vielen dabei entstandenen Karikaturen in Ledermappen. 1905 ging ein Konvolut von rund 800 Zeichnungen unter dem Titel Ernstes und Heiteres aus den Mappen der Hagengesellschaft an die Albertina, die im gleichen Jahr einige Werke ausstellte.
Gründung der Secession und des Hagenbundes
Viele Künstler traten seit den frühen 1890ern der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (heute: Künstlerhaus) bei. Die jungen Künstler stießen innerhalb der Genossenschaft zunehmend auf Schwierigkeiten, vor allem die Ausstellungspolitik sowie der Umgang mit neuen Ideen und ausländischen Impulsen führten zu Konflikten. Es formte sich eine Gruppe von Künstlern der Genossenschaft, der Hagengesellschaft und des sogenannten Siebener-Clubs, die sich im Hotel Victoria trafen. Die Gründung der Vereinigung bildender Künstler Österreichs, Secession erfolgte 1897. Bekannte Gründungsmitglieder waren unter anderem Gustav Klimt, Kolo Moser, Carl Moll, Rudolf Bacher, Josef Engelhart, Johann Viktor Krämer, Alfred Roller und Ernst Stöhr. Die strengen Aufnahmekriterien der Secession führten wiederum zu Spannungen unter den freundschaftlich verbundenen Künstlern. Einige Künstler um Eduard Kasparides und Rudolf Konopa gründeten daher 1899 den Künstlerbund Hagen der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens, der zwischen Künstlerhaus und Secession stand. Die Spannungen zwischen den nunmehr unterschiedlichen Vereinigungen angehörigen Künstlern legten sich bald und die Hagengesellschaft traf sich noch viele Jahre. Bis in die 1940er Jahre gab es eine jährliche Weihnachtsfeier im Café Sperl.
Literatur und Quellen
- Ludwig Hevesi: Die Albums der Wiener Hagengesellschaft. Albertina, in: Acht Jahre Sezession (März 1897–Juni 1905). Kritik – Polemik – Chronik, Wien 1906, S. 509-512.
- Marian Bisanz-Prakken: Die Hagengesellschaft. Eine unbekannte Vorgeschichte der Secession, in: Marian Bisanz-Prakken (Hg.): Heiliger Frühling. Gustav Klimt und die Anfänge der Wiener Secession 1895–1905, Ausst.-Kat., Albertina (Wien), 16.10.1998–10.01.1999, Wien 1999, S. 35-57.
- Elisabeth Dutz: The Hagengesellschaft: Bohemia in Vienna, in: PhotoResearcher, Nummer 31 (2019), S. 112-133.
- L. A.: Das Blaue Freihaus. Ein Stammlokal der Wiener Künstler, in: Neues Wiener Tagblatt, 22.05.1903, S. 3-4.
- Adalbert Franz Seligmann: Die Hagen-Gesellschaft, in: Neue Freie Presse, 03.01.1931, S. 1-3.
- Uwe Schögl, Hans-Peter Wipplinger (Hg.): Moriz Nähr. Fotograf der Wiener Moderne / Photographer of Viennese Modernism, Ausst.-Kat., Leopold Museum (Museums Quartier, Wien), 24.08.2018–29.10.2018, Wien - Köln 2018.
- Elisabeth Dutz: Moriz Nähr. Die Biografie, in: Uwe Schögl, Sandra Tretter und Peter Weinhäupl für die Klimt-Foundation (Hg.): Moriz Nähr (1859–1945). Fotograf für Habsburg, Klimt und Wittgenstein. Catalogue Raisonné, Wien (2021). www.moriz-naehr.com (22.05.2022).