Hermann Bahr
Hermann Bahr fotografiert von Friedrich Viktor Spitzer, in: Photographische Rundschau und photographisches Centralblatt. Zeitschrift für Freunde der Photographie, 22. Jg., Heft 3 (1908).
© Klimt-Foundation, Wien
Die Gruppe »Jung-Wien«: stehend Richard Beer-Hofmann und Hermann Bahr, sitzend Hugo von Hoffmannsthal und Arthur Schnitzler fotografiert von Anna Krieger, um 1895, Österreichische Nationalbibliothek, Wien
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek
Der österreichische Dichter, Schriftsteller, Dramatiker, Essayist sowie Theater- und Literaturkritiker Hermann Bahr gilt als Schlüsselfigur der Wiener Kunst- und Kulturszene der Jahrhundertwende und Wegbereiter der Moderne.
Hermann Bahr wurde am 19. Juli 1863 in Linz geboren, wo er das akademische Gymnasium besuchte. In Salzburg war er am Benediktiner-Gymnasium und übersiedelte danach nach Wien, um Klassische Philologie, Jus und Nationalökonomie zu studieren. Bahr begann in deutschnationalen Kreisen zu verkehren und zählte zu den Gefolgsleuten von Georg Ritter von Schönerer. Aufgrund einer antisemitischen Rede anlässlich des Trauerkommers für Richard Wagner 1883, die er als Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Albia hielt, wurde er von der Universität Wien ausgeschlossen. Er setzte daher sein Studium in Graz und Czernowitz fort und besuchte ab 1884 Vorlesungen in Philosophie, Geschichte, Literatur und Kunstgeschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, schloss sein Studium jedoch nicht ab.
Bahr unternahm Reisen nach Frankreich, Spanien, Marokko, Russland und Italien und arbeitete bereits ab 1882 publizistisch für unterschiedliche Zeitschriften und Verlage. Besonders sein Aufenthalt 1888/89 in Paris prägte seine Hinwendung zur Kunst und Moderne. Unter dem Titel Zur Kritik der Moderne erschien 1889 eine erste Sammlung seiner Zeitungsbeiträge. Im Jahr darauf wurde er Mitarbeiter der Freien Bühne in Berlin, wo er sich mit Josef Kainz und Arno Holz anfreundete. Da der berufliche Erfolg ausblieb, kehrte er 1894 nach Wien zurück. Hier ließ er sich als Schriftsteller, Theaterkritiker und Bühnendichter nieder. Er trat aus der römisch-katholischen Kirche aus und heiratete 1895 die jüdische Schauspielerin Rosalia (auch Rosa) Jokl.
Bahr machte Bekanntschaft mit Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Felix Salten und Richard Beer-Hofmann und wurde zum Mittelpunkt des literarischen Kreises Jung-Wien, dessen Mitglieder sich regelmäßig im Café Griensteidl trafen. Er galt als Sprachrohr der modernen Literaturströmung und publizierte seine gesammelten Kritiken 1891 unter dem Titel Die Überwindung des Naturalismus.
Ein Zusammentreffen mit Theodor Herzl in Paris, dessen zionistische Bewegung er in der Folge befürwortete, beeinflusste wohl sein 1894 verfasstes Buch Der Antisemitismus. Ein internationales Interview. Im gleichen Jahr gründete Bahr gemeinsam mit Heinrich Kanner und Isidor Singer die Wochenschrift Die Zeit und betreute den Kulturteil. Weiters arbeitete er für die Deutsche Zeitung und schrieb Theaterkritiken für die Österreichische Volks-Zeitung sowie das Neue Wiener Tagblatt. Bahr positionierte sich durch seine Tätigkeit geschickt im Kulturbetrieb, wobei Karl Kraus zu seinen größten Kritikern zählte und ihn häufig in der Fackel angriff.
Während der Gründung der Wiener Secession engagierte sich Hermann Bahr für die Erneuerung der Kunst und als Fürsprecher der programmatischen Künstlervereinigung. In den ersten drei Jahren wirkte er auch im literarischen Beirat der Zeitschrift Ver Sacrum, dem publizistischen Organ der Secession. Zudem verfasste er Rezensionen, in denen er sich besonders für die Malerei Klimts einsetzte. So bezeichnete er dessen Supraporte für das Palais Dumba Schubert am Klavier (1899, 1945 auf Schloss Immendorf verbrannt) in der »IV. Secessionsausstellung« 1899 als:
»[…] das schönste Bild, das jemals ein Österreicher gemalt hat.«
Josef Löwy: Schubert am Klavier, 1899, MAK – Museum für angewandte Kunst
© MAK
Josef Maria Olbrich: Villa Bahr, Winzerstraße 22, 1130 Wien, in: Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bau- und Raumkunst, 6. Jg. (1900).
© ANNO | Österreichische Nationalbibliothek
Aura Hertwig (?): Einblick in die Villa Bahr, um 1905, Theatermuseum, Wien
© KHM-Museumsverband
1900 beauftragte Bahr Josef Maria Olbrich mit der Gestaltung seiner Villa in Ober Sankt Veit und erwarb Klimts öffentlich kontrovers diskutiertes Gemälde Nuda Veritas (1899, Österreichisches Theatermuseum, Wien). Dieses bekam einen prominenten Platz an der Wand seines Arbeitszimmers. In der Tür des Raums integrierte er auch Klimts Zeichnung Hexe in einem kleinen Rahmen. Die Villa wurde zum Treffpunkt für Wiener Künstler, zu denen unter anderem Klimt, Otto Wagner und Gustav Mahler zählten.
1901 äußerte sich Bahr in einem Ehrenbeleidigungsprozess gegen Kraus über Klimt:
»Ich habe auf der Welt nichts so gern, als Bilder von Klimt. Durch mein Eintreten für seine Bilder bin ich mit Klimt persönlich befreundet worden, ich wurde sein Intimus.«
Im selben Jahr hielt Bahr vor der Schriftstellervereinigung Concordia seine Rede über Klimt. In dieser warnte er davor, dass unter den herrschenden Voraussetzungen die moderne Kunst in Österreich in Gefahr stehe, durch willkürliche Eingriffe zerstört zu werden. Auch im Streit um Klimts Fakultätsbilder, die vom Staat für die Universitätsaula beauftragt wurden, bezog er Stellung und verteidigte neben Ludwig Hevesi und Berta Zuckerkandl, die Freiheit der Kunst. Bahr sammelte und publizierte 1903 zudem negative Pressestimmen unter dem Titel Gegen Klimt.
Neben seiner journalistischen Tätigkeit schrieb er zahlreiche Bühnenstücke und avancierte zu einem führenden Ideengeber der Salzburger Festspiele. Ab 1906 war er Regisseur bei Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin und lernte zu dieser Zeit auch die Opernsängerin, Regisseurin und Wagner-Interpretin Anna Bellschan von Mildenburg kennen. Nach der Scheidung von seiner ersten Frau heirateten sie 1909 und übersiedelten drei Jahre später gemeinsam nach Salzburg.
Wie viele Intellektuelle der Zeit befürwortete Bahr Österreichs Eintritt in den Ersten Weltkrieg. Obwohl er dadurch als »gestrig« kritisiert wurde, versuchte er mit seinem 1916 erschienenem Werk Expressionismus, in dem er für die neueste Kunstrichtung eintrat, der aktuellen Kunstdebatte gerecht zu werden. Er zeigte sich gegenüber allen literarischen Strömungen, vom Naturalismus bis hin zum Expressionismus, aufgeschlossen, schrieb Romane und verfasste kulturgeschichtlich interessante Tagebücher. Nach dem Ersten Weltkrieg war sein Werk jedoch von Konservativismus und der Rückkehr zum Katholizismus geprägt. Er arbeitete als Dramaturg am Wiener Burgtheater und zog 1922 nach München. Dort verbrachte Hermann Bahr seine letzten Lebensjahre krank und dement und verstarb am 15. Jänner 1934.
Literatur und Quellen
- Hermann Bahr: Rede über Klimt, Wien 1901, S. 13.
- Hermann Bahr: Gegen Klimt, Wien 1903.
- Hermann Bahr: Tagebuch 1918, Innsbruck 1919, S. 40.
- Österreichische Biographisches Lexikon. Hermann Bahr. www.biographien.ac.at/oebl/oebl_B/Bahr_Hermann_1863_1934.xml (14.09.2020).
- Markus Kristan: Kunstschau Wien 1908, Wien 2016, S. 214-215.
- Wien Geschichte Wiki. Hermann Bahr. www.geschichtewiki.wien.gv.at/Hermann_Bahr (08.04.2020).
- Hermann Bahr. Österreichischer Kritiker europäischer Avantgarden. www.univie.ac.at/bahr/ (08.04.2020).
- Hermann Bahr: Secession, Wien 1900, S. 120, S. 123.
- Eduard Pötzl: Gerichtssaal. Ein Ehrenbeleididungsproceß, in: Neues Wiener Tagblatt, 24.02.1901, S. 6-8.
- N. N.: Lese-Abend der »Concordia«, in: Neue Freie Presse, 26.03.1901, S. 5.
- Jarmila Weißenböck: Das Haar der Nuda Veritas. Hermann Bahr und seine Klimts, in: Parnass, 20. Jg., Heft 17 (2000), S. 116-117.
- Markus Neuwirth: Hermann Bahr und Gustav Klimt. Exotismus als Fluchtpunkt, in: Jeanne Benay, Alfred Pfabigan (Hg.): Hermann Bahr – für eine andere Moderne, Bern 2004.
- Werner Hanak: Von Bärten und Propheten. Oder: Theodor Herzl, Hermann Bahr und die Folgen des »antisemitic turns« der Wiener 1880er Jahre, in: Elana Shapira (Hg.): Design Dialogue. Jews, Culture and Viennese Modernism, Wien 2018, S. 313-328.
- Kurt Ifkovits: forum oö Geschichte. Virtuelles Museum Oberösterreich. Hermann Bahr. www.ooegeschichte.at/themen/kunst-und-kultur/literaturgeschichte-oberoesterreichs/literaturgeschichte-ooe-in-abschnitten/19-fruehes-20-jahrhundert/hermann-bahr/ (19.10.2021).
- Brief von Gustav Klimt an Hermann Bahr (17.11.1897). HS_AM19666Ba.
- Ludwig Hevesi: Villa Bahr. Juni 1900, in: Acht Jahre Sezession (März 1897–Juni 1905). Kritik – Polemik – Chronik, Wien 1906, S. 512-516.