Familie Zuckerkandl

Die Familie Zuckerkandl zählte in Wien um 1900 zur Reihe der Sammlerelite des jüdischen Großbürgertums. Neben ostasiatischer Kunst und Altwiener Meistern sammelten die Familienmitglieder auch Werke von Gustav Klimt. Als Mäzene unterstützten sie die Wiener Werkstätte und die Secession.

Das jüdische Ehepaar Leon und Eleonore Zuckerkandl stammte aus Györ, Ungarn, und hatte insgesamt sechs Kinder. Die älteste Tochter Hermina starb bereits 1894 und gehört daher nicht zur Riege der Klimt-Sammler. Auch die zweite Tochter Amalie, verheiratete Redlich respektive Rudinger und ihr Bruder Robert – der später Professor für Nationalökonomie in Prag werden sollte – waren, soweit bekannt ist, keine großen Kunstsammler. Es waren also die drei Brüder Emil, Victor und Otto die gemeinsam mit ihren Frauen der Familie Zuckerkandl zu ihrem Status als bedeutende Kunstmäzene verhelfen sollten.

Emil Zuckerkandl fotografiert von Madame d'Ora, 1909
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek

Berta Zuckerkandl, fotografiert von Madame d'Ora, 1908
© Klimt-Foundation, Wien

Emil und Berta Zuckerkandl
Emil Zuckerkandl war der älteste Sohn der Familie. Er wurde am 1. September 1849 in Raab geboren. In Wien studierte er Medizin und spezialisierte sich auf das Fachgebiet der Anatomie. 1888 wurde Emil zum Professor an der Universität Wien ernannt, wo er fortan lehrte und Sezierunterricht gab. 1886 heiratete er die weltoffene, gebildete Berta Szeps, die Tochter des Schriftstellers Moriz Szeps. 1895 kam ihr einziger Sohn Fritz zur Welt. Gemeinsam unterhielt das Ehepaar in ihren Wohnungen einen Salon, der von Künstlern frequentiert wurde. Beide Eheleute waren überaus kunstinteressiert. Während Emil schon vor seiner Bekanntschaft mit Berta eine ostasiatische Kunstsammlung unterhielt, dürfte ihn seine Ehefrau mit modernen Kunstströmungen bekannt gemacht haben. Beide förderten durch ihren Salon junge aufstrebende Künstler. So auch die Secessionisten, allen voran den befreundeten Maler Gustav Klimt.

Während Berta Gustav Klimt durch ihre unermüdliche journalistische Berichterstattung unterstützte, lud Emil Zuckerkandl den befreundeten Künstler dazu ein, ihm beim Sezieren zuzusehen. Die dabei entstandenen Skizzen bildeten die Grundlage für das Fakultätsbild Die Medizin (1900–1907, 1945 verbrannt auf Schloss Immendorf) und Die Hoffnung I (1903, National Gallery of Canada, Ottawa). Als Universitätsprofessor war Emil Zuckerkandl zudem aktiv am Skandal um die Fakultätsbilder für den großen Festsaal der Universität beteiligt. Während sich eine Gruppe an Professoren gegen die Anbringung der Klimt-Gemälde aussprach, unterstützte Emil die Werke des befreundeten Malers durch die Unterfertigung einer Gegenpetition und schlug sich im Streit um die Fakultätsbilder auf die Seite des Künstlers.

Emil und Berta besaßen zwar kein Ölgemälde von Klimt, dafür aber einige graphische Werke. Darunter befanden sich Die Hetärengespräche des Lukian mit 15 Illustrationen des Künstlers sowie die Zeichnung Stehende im Rüschenkleid (1904, Leopold Museum, Wien), die angeblich Berta Zuckerkandl selbst zeigt. Warum Klimt von seiner engen Freundin und Förderin Berta Zuckerkandl kein Porträt malte, ist nicht bekannt.

Neben Gustav Klimt förderten Emil und Berta auch andere moderne Künstler. Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte wurden beispielsweise mit der Ausstattung der Villa des Ehepaars in der Nußwaldgasse beauftragt. Carl Moll, der oft im Salon zu Gast war, hielt diese in mehreren Interieurs fest. 

Nach dem Tod Emil Zuckerkandls am 18. Mai 1910 führte Berta die Mäzenenrolle alleine fort. So wurde der Bildhauer Anton Hanak beauftragt 1915 bis 1923 Emil Zuckerkandls posthumes Denkmal für den Arkadenhof der Universität Wien zu gestalten. Als Schriftstellerin förderte Berta die moderne Kunst bis zu ihrem Lebensende.

Finanziell war es ihr jedoch schon bald nicht mehr möglich große Kunstwerke anzukaufen. 1916 versetzte sie die Asiatika Sammlung ihres Mannes über das Dorotheum. 1938 flüchtete sie gemeinsam mit ihrem Sohn vor den Nazis und starb 1945 im Exil in Paris.

Gustav Klimt: Porträt Paula Zuckerkandl, 1912, Verbleib unbekannt, in: Kunstverlag Hugo Heller (Hg.): Das Werk von Gustav Klimt, Wien - Leipzig 1918.
© Klimt-Foundation, Wien

Versteigerung der Kunstsammlung Victor Zuckerkandl in der Galerie Wawra, 1916, in: Kunsthandlung C. J. Wawra (Hg.): Kunstauktion von C. J. Wawra, Nummer 236, Aukt.-Kat., Wien 1916.
© Universitätsbibliothek Heidelberg

Victor und Paula Zuckerkandl
Victor wurde am 11. April 1851 geboren und war somit der zweitälteste Sohn der Familie Zuckerkandl. Er schlug eine Laufbahn in der Industrie ein. Als erfolgreicher Unternehmer, anschließender Direktor der Oberschlesischen Eisenindustrie-Gesellschaft und somit gut verdienender Geschäftsmann, hatte er die finanziellen Mittel sein Erspartes in Kunstwerken anzulegen. Gemeinsam mit seiner Frau Paula, geborene Freund, legte er eine umfassende Sammlung an. Obwohl diese vorwiegend alte Wiener Meister wie Rudolf von Alt und Georg Ferdinand Waldmüller umfasste, befanden sich darunter auch bedeutende Klimt-Werke. Victor war vermutlich über seine Schwägerin Berta mit Gustav Klimt und den Secessionisten in Kontakt gekommen. Durch Porträtaufträge und dem Ankauf von Gemälden – vorwiegend über die Galerie Miethke – förderte das Ehepaar den modernen Künstler. 

Das Ehepaar besaß vor allem Landschaftsbilder von Klimt. So kaufte Victor 1908 das Gemälde Blühender Mohn (1907, Belvedere, Wien). 1911 erstand er Rosen unter Bäumen (um 1904, Privatbesitz) und erwarb außerdem mehrerer Zeichnungen. Noch im selben Jahr gab er außerdem bei Klimt ein Gemälde seiner Frau Porträt Paula Zuckerkandl (1912, Verbleib unbekannt) in Auftrag. In seinem Besitz befand sich von 1914 bis 1916 zudem die Pallas Athene (1898, Wien Museum), die er zuvor dem Klimt-Sammler Fritz Waerndorfer abgekauft hatte. Später kamen noch die Landschaften Allee vor Schloss Kammer am Attersee (1912, Belvedere), Malcesine am Gardasee (1913, Verbleib unbekannt, seit Kriegsende 1945 verschollen), Kirche in Cassone am Gardasee (1913, Privatbesitz) und Litzlberg am Attersee (um 1915, Privatbesitz) hinzu. 

Als Victor Zuckerkandl 1903 die Kur- und Wasserheilanstalt Sanatorium Purkersdorf erwarb, beauftragte er – vermutlich wiederum auf Anraten seiner Schwägerin Berta – Josef Hoffmann mit deren Neugestaltung. Dieser wandelte das Gebäude, gemeinsam mit Kolo Moser zu einem modernen Gesamtkunstwerk um, in dem ein Großteil der Klimt-Sammlung der Familie unterkam. Victors persönliche Villa in Purkersdorf war jedoch im Gründerzeitstil erbaut worden. Ein dort eigens errichteter Pavillon beherbergte seine Asiatika. Victors Neffe Fritz, der Sohn von Berta und Emil, war Miteigentümer des Sanatoriums.

1916 verließ der Stahlmagnat Wien und zog mit seiner Frau nach Berlin. Im Zuge der Übersiedelung trennte sich Victor vom Gros seiner Kunstsammlung. Im Oktober versteigerte er über das Kunsthaus C. J. Wawra mehr als 400 Objekte, darunter mehrere Klimt Zeichnungen sowie die Pallas Athene, die für 3.100 Kronen (ca. 5.600 Euro) einen neuen Besitzer fand. Seine Asiatika-Sammlung widmete er dem Museum in Breslau. Der Rest der Klimt-Gemälde wurde jedoch nach Berlin übersiedelt, wo sie in der neuen Villa Zuckerkandl in Grunewald im Treppenhaus gehängt wurden. Das Porträt Paula Zuckerkandl wurde repräsentativ im Wohnzimmer über einem Kamin in einer eigens dafür getäfelten Wandnische positioniert.

Galerie

Villa Zuckerkandl in Berlin

  • Einblick in die Villa Zuckerkandl, 1920er: Landschaftsgemälde von Gustav Klimt im Treppenhaus
    © Klimt-Foundation, Wien
  • Einblick in die Villa Zuckerkandl, Anfang der 1920er: Das Porträt Paula Zuckerkandl im Wohnzimmer
    © Klimt-Foundation, Wien

Nachdem Victor und seine Frau Paula 1927 knapp nacheinander verstorben waren, wurde der Nachlass unter den Erben aufgeteilt. Da das Paar kinderlos geblieben war, ging ein Großteil des Erbes an die Geschwister, Nichten und Neffen Victors. Ein Teil der Sammlung wurde so 1928 beim Auktionshaus C. J. Wawra in Wien versteigert, darunter jedoch kein einziger Klimt. Paulas Porträt sollte als Legat an die Österreichische Galerie [heute: Belvedere, Wien] gelangen. Stattdessen ging das Gemälde aufgrund der Kriegswirren in Berlin verloren.

Otto Zuckerkandl fotografiert von Madame d'Ora, 1909
© Bildarchiv und Grafiksammlung, Österreichische Nationalbibliothek

Gustav Klimt: Porträt Amalie Zuckerkandl, 1917/18, Österreichische Galerie Belvedere, 1988 Widmung Vita und Gustav Künstler
© Belvedere, Wien , Foto: Johannes Stoll

Otto und Amalie Zuckerkandl
Der jüngste Zuckerkandl Bruder war Otto. Er wurde am 28. Dezember 1861 in Raab geboren und schlug, wie sein ältester Bruder Emil, eine Karriere in der Medizin ein. Nach seinem Studium in Wien war er zunächst als Anatom, dann als Chirurg tätig. 1892 kam er als Dozent an die Uni Wien und avancierte schließlich zu einem geschätzten Urologen. Er verfasste zahlreiche Fachbücher sowie wissenschaftliche Publikationen. 1895 heiratete er Amalie Schlesinger und bekam mit ihr einen Sohn, Viktor, und zwei Töchter, Eleonore und Hermine.

Otto und Amalie unterhielten im Gegensatz zu den Geschwistern keine eigene umfangreiche Kunstsammlung. Dennoch war Otto wie seine Brüder aktiver Förderer der modernen Kunst. Von Josef Hoffmann ließ er 1912 sein Studienzimmer in der Familienwohnung ausstatten und Kolo Moser gestaltete seine Exlibris. Um 1914 wollte er, wie bereits sein Bruder Victor, seine Frau Amalie von Klimt porträtieren lassen. Um diese Zeit entstanden auch erste Entwürfe für das Porträt Amalie Zuckerkandl (1917/18, Belvedere). Während des Krieges arbeitete Amalie jedoch an der Seite ihres Mannes als Krankenschwester in Lemberg und konnte daher unmöglich Modell sitzen. Die Arbeiten an dem Auftrag verzögerten sich und konnten erst gegen Kriegsende 1917 wieder aufgenommen werden. Klimt erhielt für erste Arbeiten an dem Werk insgesamt 4.000 Kronen (ca. 7.300 Euro). Das Porträt blieb jedoch aufgrund von Klimts Tod 1918 unvollendet.

Noch im Jahr darauf ließen sich Amalie und Otto scheiden. Schon ein Monat nach der Trennung heiratete Otto erneut. Seine zweite Ehefrau war die Pianistin Margarete Gelbard. Die Ehe sollte nur zwei Jahre dauern und durch den überraschenden Tod Ottos 1921 ein jähes Ende finden. Vermutlich hatte Amalie ihr Porträt nach der Scheidung oder dem Tod ihres Ex-Mannes an Ferdinand Bloch-Bauer verkauft. Spätestens ab 1928 ist er als Eigentümer nachweisbar. Es gelangte jedoch zurück in den Familienbesitz, wo es von Amalies jüngster Tochter Hermine, verheiratete Müller-Hofmann, während der NS-Zeit an die Neue Galerie in Wien verkauft wurde. Durch eine Schenkung kam es schließlich ins Belvedere.

Amalie, die für ihren Gatten 1895 zum Judentum konvertiert war, geriet nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 ins Visier des NS-Regims. Gemeinsam mit ihrer Tochter Eleonore »Nora«, seit 1921 verheiratete Stiasny, wurde sie 1942 ins Konzentrationslager Belzec verschleppt und dort ermordet.  

Eleonore hatte das Gemälde Rosen unter Bäumen aus dem Nachlass von Victor und Paula Zuckerkandl vermutlich als Geschenk ihres Bruders Viktor jun. erhalten. Sie verkaufte es 1938, um sich damit ihre Flucht vor dem Regime zu finanzieren. Erst 2021/22 wurde das Gemälde in einem Restitutionsverfahren an die Nachfahren zurückgegeben.

Literatur und Quellen

  • Universität Wien. 650 plus- Geschichte der Wiener Universität.. Emil Zuckerkandl. geschichte.univie.ac.at/de/personen/emil-zuckerkandl-prof-dr (07.04.2020).
  • Universität Wien. monuments. Emil Zuckerkandl. monuments.univie.ac.at/index.php (07.04.2020).
  • Ö1. Das Porträt der Amalie Zuckerkandl. oe1.orf.at/artikel/641943/Das-Portraet-der-Amalie-Zuckerkandl (06.04.2020).
  • Der Standard. Ein Abschied für immer (03.06.2011). www.derstandard.at/story/1304553584968/ein-abschied-fuer-immer (06.04.2020).
  • Der Standard. Das Porträt einer Ermordeten: Amalie Zuckerkandl (31.03.2008). www.derstandard.at/story/2379120/153-das-portraet-einer-ermordeten-amalie-zuckerkandl (06.05.2020).
  • De Gruyter. Bibliothek Forschung und Praxis. Band 42: Heft 1. Berta Zuckerkandl – Netzwerkerin der Wiener Moderne: Über die Sammlungen Emile Zuckerkandl an der Österreichischen Nationalbibliothek. www.degruyter.com/view/journals/bfup/42/1/article-p128.xml (06.04.2020).
  • Monika Mayer: Nicht nur Klimt, in: Bernhard Fetz (Hg.): Berg, Wittgenstein, Zuckerkandl. Zentralfiguren der Wiener Moderne, Wien 2018, S. 251-265.
  • Reinhard Federmann (Hg.): Berta Zuckerkandl: Österreich intim, Erinnerungen 1892- 1942, Wien 2013.
  • Vera Brantl: Die familiären, politischen und kulturellen Netzwerke Berta Zuckerkandls, in: Bernhard Fetz (Hg.): Berg, Wittgenstein, Zuckerkandl. Zentralfiguren der Wiener Moderne, Wien 2018, S. 234-243.
  • Gegenpetition der Professoren der k. k. Universität Wien an das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht in Wien (presumably late March 1900). AT-OeStA/AVA Unterricht Präsidium Akten 266, Zl. 1.126/1900 fol. 15, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungs-, Finanz- und Hofkammerarchiv (AVA).
  • Hermann Muthesius: Landhäuser. ausgeführte Bauten mit Grundrissen, Gartenplänen und Erläuterungen, 2. Auflage, München 1922.
  • Versatz-, Verwahrungs- und Versteigerungsamt (Hg.): Nachlass Hofrat Professor Emil Zuckerkandl. Auserlesene Sammlung von Altwiener Porzellan. Hervorragende Alt-China- und Japan-Sammlung, Aukt.-Kat., Wien 1916.
  • Kunsthandlung C. J. Wawra (Hg.): Kunstauktion von C. J. Wawra, Nummer 236, Aukt.-Kat., Wien 1916.
  • Tobias G. Natter (Hg.): Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde, Wien 2017.
  • N. N.: Professor Dr. Otto Zuckerkandl gestorben, in: Neues Wiener Tagblatt, 03.07.1921, S. 5.
  • Prager Tagblatt, 03.07.1921.
  • Karteikarte Nr. 979 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf von »Rosen« (03/14/1911).
  • Karteikarte Nr. 683 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf von »Blühender Mohn« (08/31/1908).
  • Karteikarte Nr. 472 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf einer Zeichnung (03/14/1911).
  • Karteikarte Nr. 484 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf einer Zeichnung (03/14/1911).
  • Karteikarte Nr. 488 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf einer Zeichnung (03/14/1911).
  • Karteikarte Nr. 490 der Galerie H. O. Miethke über den verkauf einer Zeichnung (03/14/1911).
  • Karteikarte Nr. 495 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf einer Zeichnung (03/14/1911).
  • Karteikarte Nr. 500 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf einer Zeichnung (03/14/1911).
  • Karteikarte Nr. 480 der Galerie H. O. Miethke über den Verkauf einer Zeichnung (12/19/1911).
  • Deutsche Kunst und Dekoration, Band 34 (1914), S. 140.
  • Franz Eder, Ruth Pleyer: Berta Zuckerkandls Salon – Adressen und Gäste, Versuch einer Verortung, in: Bernhard Fetz (Hg.): Berg, Wittgenstein, Zuckerkandl. Zentralfiguren der Wiener Moderne, Wien 2018, S. 212-233.